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Latsis-Preis

«Gegenwind ist ein konstanter Begleiter meiner Arbeit»

Die Rechtswissenschaftlerin Saskia Stucki wurde für ihre Forschung mit dem Schweizer Wissenschaftspreis Latsis ausgezeichnet. Im Interview spricht sie über den Unterschied zwischen Tierschutz und Tierrechten, die Tierrechtsentwicklungen im Globalen Süden – und warum der Umgang mit Tieren eng mit Umwelt und Klima verknüpft ist.
Barbara Simpson
Für ihren massgeblichen Beitrag zur Theorie der Tierrechte wurde Saskia Stucki mit dem Schweizer Wissenschaftspreis Latsis ausgezeichnet. (Bild: Daniel Rihs/SNSF)

Frau Stucki, Sie haben den Schweizer Wissenschaftspreis Latsis erhalten. Herzlichen Glückwunsch! Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Saskia Stucki: Vielen Dank. Für mich ist der Preis natürlich eine grosse Ehre. Zugleich empfinde ich den Preis auch als wichtige Validierung für meine Forschung, die zuweilen wohl als etwas unorthodox wahrgenommen wird. Ich sehe den Preis auch als Qualitätssiegel für das gesamte Forschungsgebiet des Tierrechts, das in der Schweiz noch wenig institutionell verankert ist. Deshalb freut es mich besonders, dass der Preis mit der Gründung meines neuen Forschungszentrums an der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) zusammenfällt, dem Center for Animal Rights and the Environment (CARE).

Sie sind gleichzeitig an mehreren Universitäten tätig – an der ZHAW, an der Universität Zürich (UZH) und an der Universität Basel. Wie kam es dazu?

Stucki: Ich bin im Herbst 2024 nach knapp zehn Jahren Auslandsaufenthalt in Deutschland und den USA in die Schweiz zurückgekehrt. Der Plan war zunächst, an der UZH als Postdoktorandin zu forschen. Dann bot sich an der ZHAW die Möglichkeit, mein eigenes Forschungszentrum aufzubauen – ein Lebenstraum. Heute arbeite ich dort als Dozentin und Forscherin und leite das Zentrum CARE. Zusätzlich bin ich in kleinerem Pensum an der UZH am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Umweltrecht und Energierecht von Professor Johannes Reich tätig. Diese Anbindung ist für meine Forschung im Umwelt- und Klimarecht eine grosse Bereicherung. Für meine Habilitation bin ich mit der Universität Basel assoziiert. Ich schätze den Austausch mit all diesen Institutionen sehr.

Weshalb braucht es überhaupt Tierrechte? Reicht der bestehende Tierschutz nicht aus?

Stucki: Unser Rechtssystem kennt unterschiedliche Formen von Schutz. Subjektive Rechte sichern gezielt die Interessen eines Individuums ab und können eingeklagt werden. Sie sind die stärkste Form des Rechtsschutzes. Demgegenüber schützt der heutige objektivrechtliche Tierschutz lediglich das öffentliche Interesse am Schutz von Tieren. In der Abwägung tritt der Tierschutz fast immer hinter Grundrechte wie die Wirtschafts- oder Forschungsfreiheit zurück. Rechte für Tiere würden einen stärkeren und besser durchsetzbaren Schutz bieten.

Interessanterweise erkennen erste Gerichte im Globalen Süden, etwa in Indien, Pakistan, Ecuador oder Argentinien, eigentliche Tierrechte an.

Saskia Stucki
Rechtswissenschaftlerin

Seit wann gibt es Tierrechte – und wo stehen wir heute?

Stucki: Das hängt davon ab, wie man den Begriff versteht. Manche Jurist:innen sind der Ansicht, dass die Pflichten in Tierschutzgesetzen mit impliziten Rechten von Tieren korrespondieren. So betrachtet bestehen einfache Tierrechte bereits heute. Versteht man unter Tierrechten hingegen Grundrechte, die grundlegende Interessen schützen, ähnlich wie die Menschenrechte, so existieren diese bisher kaum – zumindest nicht in Europa oder Nordamerika. Interessanterweise erkennen jedoch erste Gerichte im Globalen Süden, etwa in Indien, Pakistan, Ecuador oder Argentinien, eigentliche Tierrechte an. In der Schweiz hat das Bundesgericht 2020 immerhin festgehalten, dass die Einführung von Tiergrundrechten auf kantonaler Ebene grundsätzlich möglich wäre.

Wenn Tiere eigene Rechte hätten, was würde das beispielsweise für die Nutztierhaltung bedeuten?

Stucki: Zu Ende gedacht, wären fundamentale Tierrechte mit der weitgehenden Instrumentalisierung von Tieren, wie sie für die Nutztierhaltung kennzeichnend ist, unvereinbar. Diese Konsequenz scheint gegenwärtig allerdings kaum gesellschaftlich tragfähig zu sein. Der gesellschaftliche Alltag ist heute nach wie vor stark auf die Nutzung und Tötung von Tieren ausgerichtet. Oftmals reagiert das Recht auf gesellschaftliche Veränderungen. In manchen Fällen kann es diese auch anstossen und somit progressive Impulse setzen. Doch der gesellschaftlichen Entwicklung allzu weit vorgreifen kann es nicht.

Welche Fragen treiben die Tierrechtsforschung derzeit besonders um?

Stucki: Das Forschungsfeld ist jung und lange ging es vor allem um die Schaffung der theoretischen und konzeptionellen Grundlagen, wie etwa: was ist die Rechtstellung von Tieren? Könnten Tiere Rechtssubjekte und Rechtsträger sein? Inzwischen gibt es eine solide theoretische Basis, und die Forschung beginnt sich zu diversifizieren. So stehen nun etwa Fragen der rechtlichen Umsetzung von Tierrechten im Vordergrund. Zum Beispiel: wie können Tiere – ihre Interessen und Rechte – politisch und rechtlich geltend gemacht und repräsentiert werden?

Mich interessiert derzeit besonders das Verhältnis zwischen Tier-, Menschen- und Umweltrechten sowie die Analyse neuer Gerichtsurteile. Sie bieten zum ersten Mal die Möglichkeit, Tierrechtstheorien in der Gerichtspraxis zu überprüfen und in Abgleich mit der realen Entwicklung weiterzuentwickeln.

Viele der grossen Probleme unserer Zeit – Klimawandel, Artensterben, Zoonosen, Antibiotikaresistenzen – hängen direkt mit der Nutzung von Tieren zusammen, vor allem in der Landwirtschaft.

Saskia Stucki
Rechtswissenschaftlerin

Sie haben die Verknüpfungen von Tier-, Umwelt- und Menschenrechten angesprochen.

Stucki: Ja, dieser Nexus ist sehr wichtig. Viele der grossen Probleme unserer Zeit – Klimawandel, Artensterben, Zoonosen, Antibiotikaresistenzen – hängen direkt mit der Nutzung von Tieren zusammen, vor allem in der Landwirtschaft. Die landwirtschaftliche Tiernutzung ist einer der Haupttreiber für Treibhausgasemissionen, Regenwaldabholzung und den Verlust von Biodiversität. Zugleich ist sie für die Tiere selbst mit grossem Leid verbunden. Im Kontext des Agrar- und Ernährungssystems lassen sich menschliche, tierliche und ökologische Belange kaum mehr getrennt voneinander betrachten. Normativ habe ich diese wechselseitige Verbundenheit von Menschen- und Tierrechten mit dem One Rights-Ansatz zu fassen versucht – ähnlich wie beim medizinischen AnsatzOne Health, der die Gesundheit von Menschen und Tieren zusammen denkt.

In der Schweiz ist das Tierrecht bislang kaum etabliert. Stossen Sie auf Widerstand – etwa durch die Agrarlobby?

Stucki: Gegenwind ist ein konstanter Begleiter meiner Arbeit. Wissenschaft ist nicht frei von gesellschaftlichen Konflikten. Konstruktiver Dissens ist wichtig und willkommen, problematisch sind hingegen persönliche Angriffe oder wenn Partikularinteressen gegen das Gemeinwohl durchgesetzt werden. Mir geht es darum, eine seriöse Debatte zu führen – und mein Forschungszentrum soll dazu beitragen.