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Podiumsgespräch

Der Wille zum Frieden

Eine Gesprächsrunde mit Angehörigen von Wissenschaft, Diplomatie und humanitärer Hilfe diskutierte an der UZH, unter welchen Bedingungen Frieden in einer gespaltenen Welt möglich ist – und was die Wissenschaft dazu beitragen kann.
Carole Scheidegger
Intensive Diskussion über humanitäre Arbeit und Friedensförderung. (BIld: André Hengst)

In einer Zeit wachsender geopolitischer Spannungen und langwieriger Konflikte hat die Universität Zürich zu einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion eingeladen. Moderiert von der niederländischen Historikerin Eveline van Rijswijk, diskutierten Expert:innen aus Diplomatie, Wissenschaft und humanitärer Praxis. Es ging bei diesem von der League of European Research Universities (LERU) und dem Genfer Zentrum für Sicherheitspolitik unterstützten Anlass um gewichtige Fragen wie: Was unterstützt oder behindert einen nachhaltigen Frieden? Was müssen wir wissen, um Frieden zu fördern? Und wie können wissenschaftliche Erkenntnisse eine fundierte und verantwortungsvolle Entscheidungsfindung unterstützen?

In seiner Begrüssung erinnerte Rektor Michael Schaepman an die lange humanitäre Tradition der Schweiz. Zuhören, verstehen und vermitteln seien heute nötiger denn je. Die Universität Zürich biete eine Plattform für faktenbasierte, interdisziplinäre Debatten über die drängenden Fragen der Zeit.

Zwischen Recht und Realität

Mirjana Spoljaric, Präsidentin des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), setzte mit ihrer Eröffnungsrede einen nachdrücklichen Akzent. Sie schilderte ein düsteres Bild: Über 130 bewaffnete Konflikte weltweit, zunehmende Rücksichtslosigkeit im Krieg, schrumpfende humanitäre Budgets – all das stelle die internationale Gemeinschaft vor dramatische Herausforderungen. Spoljaric betonte, dass das IKRK keine Friedensorganisation im klassischen Sinne sei – es verhandle keine Waffenstillstände oder politischen Kompromisse. Und doch trage es in drei entscheidenden Bereichen zu Friedensprozessen bei:

Erstens, indem fragile Gesellschaften stabilisiert werden: Wenn junge Männer keine Alternative zur Gewalt haben, schafft humanitäre Hilfe – etwa durch Bildungs- und Gesundheitsprogramme – Lebensperspektiven.

Zweitens, indem die Folgen von Kriegen gelindert werden: Die Art und Weise, wie ein Krieg geführt wird – mit oder ohne Rücksicht auf Zivilist:innen – bestimmt massgeblich, ob und wie eine Gesellschaft nach dem Krieg heilen kann.

Drittens, indem es einen Raum für Dialog schafft und die Staaten dazu auffordert, das humanitäre Völkerrecht zu achten.

Podiumsgäste
Welche Faktoren führen zum Gelingen oder Scheitern von Friedensprozessen? Das diskutierten Eveline van Rijswijk, Mirjana Spoljaric, Jürg Lauber, Jaak Aaviksoo, Thomas Greminger, Helen Keller und Karin Aggestam. (Bild: André Hengst)

Die Gesprächsrunde nahm sich zuerst konkrete Beispiele vor, die zeigen, wie Friedensprozesse funktionieren können – und woran sie scheitern.

Jürg Lauber, Präsident des Uno-Menschenrechtsrats (UNHRC) und ständiger Vertreter der Schweiz bei den Vereinten Nationen in Genf, erinnerte an die Anfänge des Syrienkriegs 2011 – ausgelöst durch die gewaltsame Unterdrückung friedlicher Proteste. Die Missachtung der Menschenrechte habe zur Eskalation beigetragen. Heute sei klar: nachhaltige Friedensprozesse müssten auch eine Aufarbeitung solcher Verletzungen umfassen.

Jaak Aaviksoo, ehemaliger estnischer Minister und ehemaliger Rektor der Universitäten von Tartu und Tallinn, analysierte die russische Invasion in der Ukraine als Folge jahrzehntelanger geopolitischer Versäumnisse. Der Westen habe autoritäre Tendenzen zu lange toleriert – etwa bei der Annexion der Krim. Heute kämpfe die Ukraine nicht nur um ihr Territorium, sondern um eine wertebasierte Existenz im liberal-demokratischen Raum.

Diskreter Dialog

Thomas Greminger, Botschafter und Direktor des Genfer Zentrums für Sicherheitspolitik, betonte, wie wichtig Kommunikationskanäle zwischen den verschiedenen Parteien sind. Besonders wenn nicht-staatliche Akteure, etwa Rebellengruppen, involviert seien, könne der Dialog für Regierungen politisch riskant sein. Deshalb funktioniere diskrete Vermittlung, oft auch durch nicht-staatliche Akteure, häufig am besten. Als Beispiel nannte er erfolgreiche Vermittlungen der Schweiz in Nepal und Uganda.

Podiumsgäste
UZH-Professorin Helen Keller sprach über das Dayton-Abkommen. (Bild: André Hengst)

Helen Keller, Professorin für Völkerrecht an der UZH und Richterin am Verfassungsgericht für Bosnien-Herzegowina, sprach über die Bilanz des Dayton-Abkommens. Dieses habe 30 Jahre Frieden in Bosnien-Herzegowina gebracht, doch von einem funktionierenden, selbständigen Staatswesen sei das Land weit entfernt. Korruption, Segregation und starke internationale Einflussnahme verhinderten echte Eigenverantwortung. Sie stellte ausserdem die Frage in den Raum, ob es nach einem Konflikt mehr brauche als die strafrechtliche Aufarbeitung, um zu einem echten Frieden zu kommen.

Es gibt keine Einheitslösung

Die Politikwissenschaftlerin Karin Aggestam von der Universität Lund brachte den Blick der Wissenschaft ein und beschrieb die letzten 40 Jahre der Friedensförderung als sehr ambitioniert. Das Ziel war nicht nur, Kriege zu beenden, sondern Institutionen aufzubauen, Demokratie zu verbreiten, die Wirtschaft zu stabilisieren. Eine zentrale Erkenntnis aus der Rückschau: Jede Konfliktsituation ist historisch, kulturell und politisch einzigartig. «One size does not fit all», betonte Aggestam, und plädierte für mehr Kontextsensibilität und inklusivere Prozesse.

Heute gehe es darum, statt auf Interventionen auf Vermittlung zu setzen. Gerade werde die Macht auf der Welt neu verteilt und multilaterale Institutionen verlieren an Bedeutung. Stattdessen komme es öfter zu unilateralen oder minilateralen Ad-hoc-Handlungen – die aber häufig nicht nachhaltig und umfassend seien.

Regeln einhalten

Eine wichtige Frage war: Braucht es heute neue Regeln für Konflikte? Nein, lautete eine Antwort auf dem Podium: Das humanitäre Völkerrecht reicht im Grundsatz. Besorgniserregend ist, dass dieses Regelwerk immer öfter missachtet und diese Missachtung von der internationalen Gemeinschaft gebilligt wird. «Wenn Städte dem Erdboden gleichgemacht, Krankenhäuser zerstört und Stadtviertel mit Landminen übersät sind, werden die Grundlagen der Gesellschaft zerstört», sagte Mirjana Spoljaric. Das IKRK erinnere auch im Kontext des Gaza-Kriegs immer wieder daran, dass das humanitäre Völkerrecht eingehalten werden muss.

Es fehle aktuell auf der Welt an politischem Leadership, lautete eine weitere Feststellung der Gesprächsrunde. Humanitäres Handeln kann den Weg zum Frieden ebnen, aber es kann den politischen Willen zum Frieden nicht erzwingen.

Was kann die Wissenschaft zur Friedensförderung beitragen? Akademisches Wissen kann helfen, Konflikte zu verstehen, Friedensmassnahmen zu evaluieren und Entscheidungsträger zu beraten. Doch es braucht einen engen Austausch zwischen Forscher:innen und Praktiker:innen. Ein Beispiel dafür ist etwa, wie wissenschaftliche Expertise bei der Schaffung Uno-Menschenrechtsrats einbezogen wurde.

Das Podium verdeutlichte, wie komplex moderne Friedensprozesse sind – und dass es keine Patentrezepte gibt. Humanitäres Handeln, internationale Zusammenarbeit, wissenschaftliche Reflexion und politisches Engagement müssen ineinandergreifen. Und es braucht, gerade bei den politischen Akteur:innen, der Wille zum Frieden.