Schneller zur optimalen Wahlempfehlung
Für viele Wählerinnen und Wähler ist es eine Herausforderung, aus der Fülle der Kandidierenden für ein politisches Amt diejenigen zu finden, die ihrer eigenen Haltung am nächsten liegen. Die Plattform Smartvote bietet hier Unterstützung: Sie schlägt auf Grundlage eines Fragebogens den Wähler:innen diejenigen Kandidierenden vor, die in politischen Fragen die beste Übereinstimmung mit ihrer eigenen Ansicht haben.
Dazu müssen die Wähler:innen jedoch einen Fragebogen mit mehr als 70 Fragen ausfüllen. Zwar gibt es eine kürzere Variante mit rund 30 Fragen, doch diese erreicht nicht die gleiche Qualität bei den Empfehlungen. «Wir wollten eine Methode finden, die den Wähler:innen zu jedem Zeitpunkt die bestmögliche Empfehlung gibt», erklärt Abraham Bernstein, Professor am Institut für Informatik an der UZH. «Und zwar unabhängig davon, wie viele Fragen sie bereits beantwortet haben.»
Adaptive Fragebögen
Dazu haben Bernstein und sein Doktorand Fynn Bachmann mehrere Methoden getestet, bei der die Fragen nicht in einer festen Reihenfolge gestellt werden, sondern flexibel aufgrund der bisherigen Antworten. Die beste der untersuchten Methoden erreicht mit der Hälfte der Fragen eine deutlich bessere Qualität der Empfehlungen, als mit dem statischen kurzen Fragebogen.
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Das Modell lernt aus den Antworten, die bereits gegeben wurden, und kann auf diese Weise schon mit weniger Fragen gute Vorschläge machen.
Das heisst: die empfohlenen Kandidierenden stimmen zu 70 % mit denen überein, die nach dem Ausfüllen des ganzen Fragebogens vorgeschlagen werden. «Das Modell lernt aus den Antworten, die bereits gegeben wurden», sagt Bernstein, «und kann auf diese Weise schon mit weniger Fragen gute Vorschläge machen.»
So funktioniert das Modell
Die Herausforderung bestand darin, herauszufinden, welche Frage zu jedem beliebigen Zeitpunkt am meisten dazu beiträgt, die politische Positionierung zu klären.
«Positionierung» ist dabei wörtlich gemeint, denn in der besten Methode wird eine Art politische Landkarte mit den beiden Achsen links–rechts und liberal–konservativ erstellt. Alle Kandidierenden werden darauf aufgrund ihrer Antworten zum Fragebogen platziert. Daraus ergeben sich deutliche Cluster: Kandidierende der SP und der Grünen sind tendenziell im linken mittleren Bereich der Karte zu finden, jene der SVP eher rechts unten.
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- Zoom (JPG, 163 KB)
- Die Grafik zeigt die Verteilung der Kandidierenden auf einer «politischen Landkarte». Die gestrichelte Linie markiert die Grenze, an welcher die Wahrscheinlichkeit einer Zustimmung zur Frage «Soll die Schweiz das Schengen-Abkommen mit der EU kündigen und wieder verstärkte Personenkontrollen direkt an der Grenze einführen?» gleich hoch ist, wie die einer Ablehnung. Sie verläuft klar zwischen Partei-Clustern: Unterhalb befinden sich vor allem Vertreter:innen der SVP und EDU, links davon und darüber die meisten Vertreter:innen der anderen Parteien.
Ungewissheit dient der Klärung
Für jede Frage lässt sich nun berechnen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Person, die sich auf einem bestimmten Punkt der Karte befindet, der Frage zustimmt. Je weniger sicher diese Voraussage ist, desto mehr hilft die Frage, die politische Positionierung der Person einzugrenzen und umso eher wählt der Algorithmus sie als nächste aus. «Wenn die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person die Frage mit Ja beantwortet, bei 90 Prozent liegt, so trägt dies wenig dazu bei, die Position zu klären», erklärt Bachmann.
Ein Beispiel: Hat etwa eine Person die Frage, ob sie die Bilateralen Verträge befürwortet, mit Nein beantwortet, so macht es wenig Sinn, zu fragen, ob sie einen EU-Beitritt befürwortet. Die Wahrscheinlichkeit für ein Nein ist extrem hoch. Ist hingegen unklar, wie die Person antworten würde, so hilft die tatsächlich gegebene Antwort, die Positionierung entsprechend anzupassen.
Die Funktionsweise können Sie auch auf derTest-Umfrage nachvollziehen.
Umsetzung auf Smartvote geplant
Die Studie wurde in Zusammenarbeit mit Smartvote gemacht. Der Verein, der die Plattform betreut, ist sehr an den Ergebnissen interessiert. Die Optimierung, die mit einem adaptiven Fragebogen erzielt werden kann, überzeuge ihn und sein Team, sagt Daniel Schwarz, einer der Gründer von Smartvote. «Damit können wir auch jenen Personen die bestmögliche Wahlempfehlung bieten, die nicht alle 70 Fragen beantworten wollen.»
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Die von der Studie angeregten Verbesserungen sind ein Paradebeispiel, wie Ergebnisse aus der Wissenschaft Eingang in eine tatsächliche Anwendung finden.
Smartvote plant deshalb, bei der nächsten Überarbeitung der Plattform den Fragebogen entsprechend anzupassen. Wann die adaptiven Fragebögen live sein werden, ist laut Schwarz derzeit noch nicht klar. Denn noch stehen Abklärungen zur technischen Umsetzung und zur Performance im Raum. Für Schwarz ist wichtig, dass die für den Auswahl der Fragen notwendigen Berechnungen möglichst effizient ablaufen. Denn die Rechenkapazitäten der Smartvote-Server sind begrenzt.
Ebenfalls anpassen will Smartvote die Methode, mit der die Kandidierenden auf einer politischen Landkarte von links bis rechts und konservativ bis liberal platziert werden. Neu soll dazu der Algorithmus verwendet werden, der auch beim adaptiven Fragebogen der UZH-Studie für das zweidimensionale Modell Anwendung findet. Die von der Studie angeregten Verbesserungen sind für Schwarz ein Paradebeispiel, wie Ergebnisse aus der Wissenschaft Eingang in eine tatsächliche Anwendung finden.
Kein Kaltstart dank KI
Die von Bernstein und Bachmann entwickelte Methode beruht darauf, dass das System bereits eine grosse Anzahl von Antworten hat, auf deren Grundlage die zweidimensionale Karte erstellt werden kann. Bei Smartvote ist dies der Fall, weil zuerst alle Kandidierenden den Fragebogen ausfüllen müssen. Doch der Algorithmus für den adaptiven Fragebogen lässt sich auch auf andere Umfragen anwenden, wo solche Antworten fehlen und zu Beginn keine «Landkarte» existiert, auf deren Grundlage die sinnvollsten nächsten Fragen in einem adaptiven eruiert werden können.
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Generative KI kann genutzt werden, um die Qualität von adaptiven Fragebögen zu verbessern.
Die Vorschläge für die Reihenfolge der Fragen wäre deshalb bei den ersten Personen, die die Umfrage ausfüllen, nicht sehr aussagekräftig. Bernstein und Bachmann haben deshalb in einer zweiten Studie untersucht, wie dieses so genannte Cold-Start-Problem mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz gelöst werden könnte.
Realitätsnahe Ergebnisse
Dazu haben sie ChatGPT die Smartvote-Umfrage mit der Vorgabe ausfüllen lassen, dass sich die KI wie ein Sympathisant einer bestimmten Partei verhält. Auch hier war das Ergebnis deutlich: Platziert man die von der KI erzeugten Antworten auf der politischen Landkarte, so bildeten sich auch dort Cluster gemäss den Parteimeinungen. Die von der KI simulierten FDP- oder SP-Wählenden verteilten sich in etwa ähnlich, wie die tatsächlichen. Dieses Ergebnis erreichten die UZH-Forscher mit dem Standardmodell von ChatGPT, ohne dass sie den Chatbot mit spezifischen Daten fütterten.
Für die Autoren heisst das, dass generative KI genutzt werden kann, um die Qualität von adaptiven Fragebögen zu verbessern. Mit den von der KI erzeugten Antworten kann eine erste aussagekräftige Gruppe von beliebig vielen Umfrageteilnehmenden simuliert werden. Der Algorithmus für die Auswahl der adaptiven Fragen kann diese Grundlage nutzen, um so bereits bei den ersten realen Personen, welche die Umfrage ausfüllen, eine aussagekräftigere Auswahl der jeweils nächsten Frage zu treffen. «Es gibt immer noch einen Nachteil für die ersten, die die Umfrage ausfüllen», erklärt Bernstein, «aber er ist deutlich kleiner, als wenn noch gar keine Daten vorhanden wären.»
Beide Studien zeigen, dass mit adaptiven Fragebögen und dem Einsatz von KI Umfragen so gestaltet werden können, dass sie mit einem für die Teilnehmenden deutlich geringeren Aufwand zu einem vergleichbaren Ergebnis führen.