Falsche Heroen und eine verschwundene Soldatin

Ein amerikanischer Präsident, der sich in Online-Posts als König, Kirchenoberhaupt oder muskelbepackter Footballspieler inszeniert. Ein Tech-Milliardär, der in einem Meme, das er Ende letzten Jahres auf seinem Social-Media-Kanal X veröffentlichte, zum römischen Gladiator mutiert. Die digitale Bilderwelt treibt zuweilen merkwürdige Blüten. Möglich machen dies KI-Bildgeneratoren wie Midjourney und Dall-E. «Sie sind eine Art Wunscherfüllungsmaschinen», sagt Roland Meyer, «man kann einen Prompt eingeben, der unmittelbar zum Bild wird.» Und so wird beispielsweise per Knopfdruck aus einem Amerikaner des 21. Jahrhunderts ein brustbepanzerter, heroisch dreinblickender Kämpfer aus dem alten Rom.
Oder zumindest, was sich künstliche Intelligenz unter einem solchen Krieger aus der Antike vorstellt. Wobei «vorstellen» eigentlich nicht das richtige Wort ist. Denn KI-Bildgeneratoren durchforsten und synthetisieren riesige Datenmengen. Dabei wirbeln sie ganz unterschiedliche Zeitschichten, Stile und Ästhetiken mehr oder weniger zufällig durcheinander. So wird aus Versatzstücken der Geschichte ein neues Bild einer fiktiven Vergangenheit produziert. «Im Meme von Elon Musk werden Elemente der Historienmalerei des 19. Jahrhunderts, die Ästhetik von Blockbuster-Filmen über das antike Rom und von Computerspielen zu einem zeitlos erscheinenden Bild der Hypermaskulinität fusioniert», sagt Roland Meyer, der in seine Analysen sowohl technische als auch bildgeschichtliche Aspekte einfliessen lässt.
Schwindender Realitätssinn
Roland Meyer ist Bild- und Medienwissenschaftler und seit letztem Sommer DIZH-Brückenprofessor für Digitale Kulturen und Künste. Als solcher arbeitet er am Seminar für Filmwissenschaft der UZH und gleichzeitig an der Zürcher Hochschule der Künste. Meyer hat sich in seiner Forschung mit den Herausforderungen der digitalen Gesichtserkennung und ihrer analogen Vorgeschichte auseinandergesetzt. Und damit, was es bedeutet, wenn die Bilder unseres Gesichts online algorithmisch ausgewertet und mit Datenprofilen verknüpft werden, um daraus Kapital zu schlagen oder uns zu überwachen.
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Viele KI-Bildgeneratoren sind gut darin, Klischees, insbesondere der Geschlechter, zu verstärken.
Der Forscher interessiert sich auch dafür, wie sich unser Verständnis von Bildern in der Online-Welt – also vor dem Hintergrund von digitalen Plattformen, sozialen Netzwerken und generativer KI – verändert. Und tatsächlich wandelt sich die Art und Weise, wie wir Bilder wahrnehmen, wie wir sie lesen und was wir von ihnen in den digitalen Medien erwarten, enorm. Online beginnen die Grenzen zwischen Wünschen, Emotionen und der Realität zu verschwimmen.
Das hat unter anderem damit zu tun, wie Social Media funktionieren. Nutzer:innen von sozialen Netzwerken sind heute daran gewöhnt, unmittelbar auf Bildinhalte zu reagieren und diese etwa zu liken oder zu teilen. Entsprechend sind Bilder, die auf Instagram & Co. gepostet werden, darauf angelegt, möglichst solche Reaktionen auszulösen. «Bilder sollen online heute vor allem unmittelbar affektiv wirken und spontane Interaktionen provozieren», sagt Roland Meyer. Im Vordergrund steht nicht mehr so sehr die Frage, ob Fotos einen authentischen Ausschnitt der Welt zeigen oder nicht. «Oft ist es wichtiger, dass sie für die Betrachter:innen emotional wahr sind und ihrer gefühlten Weltsicht entsprechen», sagt der Bildwissenschaftler.
Keine politisch neutralen Werkzeuge
So wurden beispielsweise viele Bilder, die zu den verheerenden Bränden in Los Angeles Anfang Jahr oder zur Flutkatastrophe in Florida im letzten Herbst online kursierten, von KI generiert. «Leute, die solche Bilder geteilt haben, sagten zum Teil ausdrücklich, es interessiere sie gar nicht, ob es sich um fotografische Aufnahmen handle oder nicht – die Katastrophe und das Leid der Menschen seien ja real», sagt Meyer. Wichtig war für sie, dass die Fotos ihre Gefühle und ihre Betroffenheit ausdrückten, die sie anderen mitteilen wollten, und nicht so sehr, dass sie konkrete Ereignisse eins zu eins dokumentierten.
Wenig mit der Realität zu tun haben auch die KI-generierten Bilder, die Elon Musk als Römer oder Donald Trump als König oder Papst zeigen. Dass es diese Bilder gibt und es gerade Männer wie Musk und Trump sind, die solche Inszenierungen verbreiten, ist für Roland Meyer kein Zufall. «Die radikale Rechte liebt generative KI, und zwar international», schreibt er in einem Beitrag des Online-Blogs «Geschichte der Gegenwart». Auch die deutsche Rechtsaussenpartei AfD nutzt für ihre Propaganda KI-generierte Bilder von strammen jungen Männern, blond bezopften Frauen und fiktiven, nostalgisch anmutenden, meist ländlichen Familienidyllen.
Der Zusammenhang von solch klischierten, KI-generierten Wunschbildern und rechten politischen Positionen beruht für Meyer auf einer inneren Logik. Denn, so seine These, die kommerziellen KI-Tools zur Bildgenerierung sind keine politisch neutralen Werkzeuge, sondern drängen sich für den Entwurf rechter Weltbilder geradezu auf. «Viele kommerzielle Tools sind gut darin, Klischees, insbesondere der Geschlechter, zu verstärken und beispielsweise Bilder von hypermaskulinen Männern und superfemininen Frauen zu generieren», sagt er, «und sie nutzen Bildmuster aus der Vergangenheit, um diese in völlig ahistorischen künstlichen Bildwelten zu verdichten.» Auf diese Weise entstehen unter anderem historische Fiktionen, die ein idealisiertes Früher zeigen, das es so nie gegeben hat. «Deshalb», so Roland Meyer, «wird die KI-Bildgenerierung aktuell massiv von rechten Parteien für Propagandazwecke genutzt.»
Gesäuberte Bildarchive
Der Bildwissenschaftler sieht aber auch noch weitere Gründe dafür, dass die politische Rechte so gerne KI-Memes generiert und teilt: «Ihre Gegner regen sich darüber auf – KI-Bildwelten haben ein grosses Provokationspotenzial.» Und so sind sie Teil eines Kulturkampfs, der sich auch um den Umgang mit historischen Bildern und Vorstellungen von Geschichte dreht. In den USA zeigt sich dieser Konflikt noch in einem anderen Kontext. «Die amerikanische Regierung hat in diesem Frühling veranlasst, Online-Bildarchive nach politischen Massgaben zu säubern und Diversität unsichtbar zu machen», sagt Meyer. Hintergrund ist der von der Trump-Administration angeordnete Kampf gegen «Diversity, Equity and Inclusion» (DEI).
So wurde im März bekannt, dass das Pentagon 26000 Fotos auf den Websites des amerikanischen Militärs zur Löschung markiert hat, wie Meyer in einem Gastbeitrag für die «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» festhält. Zum Verschwinden gebracht werden sollen insbesondere Bilder von Menschen, die nicht dem Idealbild eines männlichen, weissen, heterosexuellen Soldaten entsprechen. So wurden etwa Fotos von schwarzen Armeeangehörigen im Zweiten Weltkrieg gelöscht. Aus dem Internet verschwunden sind aber beispielsweise auch Bilder der ersten US-Infanteriesoldatin Christina Fuentes Montenegro aus dem 21. Jahrhundert (siehe Bild Seite 37). «Damit wird versucht, die Geschichte den aktuellen politischen Interessen entsprechend zu glätten, zu säubern und zu vereindeutigen», sagt Meyer, «auf dem Spiel steht nichts Geringeres als das visuelle Kulturerbe.»
Verzerrte Trainingsdaten
Die Säuberung von Archiven hat auch Konsequenzen für die Bildgenerierung mit KI. Denn mit archivierten Bilddaten werden letztlich die KI-Modelle trainiert, mit denen sich neue Bilder generieren lassen. «Promptet man das Bild eines US-Soldaten, wird dieses vermutlich schon heute mehr oder weniger den trumpschen Idealvorstellungen entsprechen», sagt Roland Meyer, «wenn das Internet nun weiter nach White-Supremacy-Kategorien gesäubert wird, ist absehbar, dass damit rassistische und sexistische Vorurteile künftig noch weiter verstärkt werden.»
Mit seiner Forschung will Roland Meyer für solch problematische Zusammenhänge in der digitalen Bilderwelt sensibilisieren. Künftig möchte er weiter untersuchen, wie KI unseren Blick auf Archive und auf die Vergangenheit verändert. Eine wichtige Basis dafür ist der interdisziplinäre Austausch am 2024 neu gegründeten Zentrum für Künste und Kulturtheorie (ZKK), dem Forschende der UZH und der Zürcher Hochschule der Künste angehören.