Rückbesinnung auf die eigenen Wurzeln
In Uganda brachte Covid-19 die grosse Wende. Als sich das Virus in der Bevölkerung ausbreitete und die Medikamente der Schulmedizin rar wurden, besannen sich zahlreiche Menschen auf die traditionelle ugandische Pflanzenmedizin. Viele schätzen daran, dass diese kaum Nebenwirkungen verursacht; und die Menschen auf dem Land fanden es gut, dass die traditionelle Medizin in ein grösseres Ganzes eingebunden ist, in dem auch die Geister der Vorfahren eine gebührende Rolle spielen, erzählt die Ethnobotanikerin Caroline Weckerle vom Institut für Systematische und Evolutionäre Botanik, die die aktuelle Sonderausstellung «Ugandas Pflanzenheilkunst im Wandel» im Botanischen Garten der UZH mit ihrem Team konzipiert hat.
Aber: Die traditionellen Heilpraktiken – insbesondere die Praktiken spiritueller Heiler:innen – waren unter der britischen Kolonialmacht 1957 mit dem sogenannten Witchcraft Act verboten worden, führt Weckerle aus. Entsprechend gibt es eine Tendenz, «im Geheimen» zu praktizieren. Dies gilt auch für die traditionellen Hebammen, deren Tätigkeit vor einiger Zeit verboten wurde, auf deren Hilfe aber gerade in ländlichen Gebieten viele Frauen dringend angewiesen sind.
Tradition trifft auf Wissenschaft
2019 wurde der Witchcraft Act umgeschrieben und damit die Hürde abgebaut, die es der modernen Wissenschaft in Uganda sechzig Jahre lang erschwerte, sich der naturheilkundlichen Tradition anzunähern. Eine solche Auseinandersetzung zwischen Tradition und Wissenschaft begrüsst auch die Weltgesundheitsorganisation: Die WHO empfiehlt afrikanischen Staaten, verlässliche und nachhaltige traditionelle Heilpraktiken in die Schulmedizin zu integrieren, vor allem im Bereich der Grundversorgung und der Prävention.
«Pflanzen sind im präventiven Bereich sehr stark», betont Weckerle. Die Privatdozentin leitet auch das kooperative Forschungsprojekt «Traditional Medicine in Transition», das der Sonderausstellung im Botanischen Garten zugrunde liegt.
Hilfreiche Vergleiche
Die Renaissance der Pflanzenheilkunst während der Corona-Pandemie bewegte die Makerere University, das Uganda National Museum in Kampala und das Igongo Cultural Centre in Mbarara, der UZH ein kooperatives Forschungsprojekt vorzuschlagen. Die langjährigen ugandischen Partnerorganisationen der UZH erhofften sich unter anderem Inputs für die Weiterentwicklung der einheimischen Pflanzenheilkunst durch einen Vergleich mit der Pflanzenheilkunst in der Schweiz, einem mitteleuropäischen Land mit hochentwickeltem Gesundheitssystem.
Für ihr Vorhaben gewannen sie die UZH-Ethnobotanikerin Caroline Weckerle und entwickelten mit ihr das kooperative Forschungsprojekt «Traditional Medicine in Transition». Dieses erforscht die unterschiedlichen Formen der Wissensweitergabe in Uganda und der Schweiz und will herausfinden, wie die jeweiligen Vermittlungskanäle das Wissen über die Heilpflanzen beeinflussen.
Gedichte, Theater, Musik
Traditionell wurde die Pflanzenheilkunde in Uganda oft in Gedichten, Theater- und Musikdarbietungen weitergegeben. Spätestens seit Corona ist WhatsApp dazugekommen und ist in kurzer Zeit zum wichtigsten Verbreitungskanal aufgestiegen. Allerdings zirkuliert auf WhatsApp nur beschränkt verlässliches Wissen, und ein Faktencheck ist schwierig; auch während Corona war es Laien fast nicht möglich, herauszufinden, wer Quacksalberei betrieb und nur auf Profit aus war, sagt Weckerle.
Die ugandischen Forschungspartner:innen bringen nun alte und neue Formen der Wissensweitergabe zusammen, um von beiden das Beste zu nutzen. So werden die Erkenntnisse zur Pflanzenheilkunde in zwei mobilen Museen, die im Land herum touren, vermittelt und gleichzeitig auf Social Media gestreut.
«Am effektivsten wäre es, man würde Heilpflanzenkunde in den Lehrplan der Primarschulen integrieren», findet Projektleiterin Caroline Weckerle. Denn auch die Kinder in Uganda verbringen mittlerweile mehr Zeit ausserhalb des Elternhauses – wo früher oft die Grossmütter oder -väter naturheilkundliches Wissen weitergaben –, und in den westlich geprägten Schulen, die sie besuchen, ist die traditionelle Medizin kein Thema. Da aktuell gerade der Lehrplan der ugandischen Schulen überarbeitet wird, wäre das Timing perfekt, um das Thema «verlässliche Pflanzenheilkunde» zu verankern.
Wissen dokumentieren
Vor allem fernab der Zentren Ugandas ist die Bevölkerung auf die traditionelle Medizin angewiesen, erzählt Caroline Weckerle. Schulmedizinische Einrichtungen sind auf dem Land selten und oft weit weg. Für die Bevölkerung dort ist es besonders nützlich, dass die korrekte Herstellung von bewährten Pflanzenheilmitteln für sie dokumentiert wird.
Der Afrikanische Tulpenbaum zum Beispiel – eine wichtige Heilpflanze in Uganda – ist unbehandelt in allen Teilen giftig. Erst ein ausgeklügeltes Verfahren macht die darin enthaltenen Wirkstoffe zu einem Heilmittel – was bei verschiedenen Phytomedikamenten der Fall ist. Auch die «Best Practices» in der Produktion wollen die ugandischen Wissenschaftspartner dokumentieren und verbreiten.
Qualität statt Quantität im Anbau
Während der Corona-Pandemie war eine Kombination von drei anerkannten Heilpflanzen enorm nachgefragt. Ein findiger Professor, Patrick Ogwang, vermarktete das Dreierpaket unter dem Namen Covidex. Mit enormem Erfolg.
Professor Ogwang versuchte während der Pandemie, möglichst grosse Mengen des Präparates zu produzieren – was damals verständlich war, langfristig aber schädlich ist, da eine der Pflanzen, das Ostafrikanischen Satinholz (Zanthoxylum gilletii), bis jetzt nur wild gesammelt werden kann, da es (noch) keine Plantagen gibt. Zwar könnte die Rinde nachhaltig gesammelt werden, so dass der Baum nicht stirbt, doch wird darauf oft nicht geachtet.
Viele Heilpflanzen können in Gärten gezüchtet werden, wenn die Keimlinge zur Verfügung stehen. Auch dazu will das Forschungsprojekt «Traditional Medicine in Transition» beitragen, mit Workshops in Botanischen Gärten und der Abgabe von Jungpflanzen.
Dynamische Museen
In das Forschungsprojekt sind auch zwei Museen in Uganda involviert. Sie spielen beim Erreichen des Forschungsziels, verlässliches Heilpflanzenwissen der Öffentlichkeit zu vermitteln, eine wichtige Rolle. Das Uganda National Museum in Kampala und das Igongo Cultural Centre in Mbarara verstehen sich sehr dynamisch «als Plattform für sozialen Wandel», erklärt Weckerle. Ausstellungen konzipieren sie als Forum für die Bevölkerung, Wissen einzubringen und sich – auch zu kontroversen Themen – in einem sicheren Rahmen («safe space») auszutauschen.
Das kooperative Forschungsprojekt «Ugandas Pflanzenheilkunst im Wandel» hat reiche Früchte getragen. Damit die Sonderausstellung im Botanischen Garten der UZH in Zürich nicht zu umfangreich ausfiel, wurde sie zweigeteilt. Dieses Jahr ist der traditionellen Medizin in Uganda gewidmet, 2026 folgt eine Ausstellung zur Naturheilkunde in der Schweiz.